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04.08.2023

Libanon: Drei Jahre nach der Explosion von Beirut sind die Wunden nicht verheilt

Vor drei Jahren kamen bei der schweren Explosion im Hafen von Beirut mehr als 200 Menschen ums Leben und rund 300.000 verloren ihr Zuhause. Die Katastrophe hat die gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Krise im Land verschärft – ungefähr 2,1 Millionen Menschen im Libanon sind auf humanitäre Hilfe angewiesen.
Die in den Himmel ragende Ruine des Getreidesilos erinnert täglich an die Katastrophe, die sich am 4. August 2020 im Hafen von Beirut ereignete. Die schwere Explosion hat bis heute gravierende Folgen für Millionen von Menschen im Land. © Cosima Trittel / Save the Children

Marie-Sophie Schwarzer, Mitarbeiterin bei Save the Children, war vor Ort, um sich ein umfassendes Bild von der Situation zu machen. Hier schildert sie ihre Eindrücke.

Drei Jahre sind nun seit der verheerenden Explosion im Hafen von Beirut vergangen, die das Land noch tiefer in die Krise stürzte. Bis vor einigen Jahren war der Libanon das Land mit der größten Mittelschicht in der arabischen Welt – jetzt existiert die Mittelschicht nicht mehr. „Die Menschen hier sind entweder arm, sehr arm, oder sehr reich“, erzählt mir eine Kollegin aus unserem Länderbüro in Beirut bei meinem Besuch.

Auf den ersten Blick fällt es kaum auf: Die Restaurants und Bars der Hauptstadt sind gut besucht, die Straßen überfüllt. Aber der Schein trügt. Der Libanon steckt nicht nur in einer politischen Krise, sondern auch in einer Wirtschaftskrise, wie sie das Land noch nicht erlebt hat. Auf den zweiten Blick wird die kritische Lage sichtbar: Wir fahren an einem Mädchen vorbei, das auf der staubigen Straße Taschentücher verkauft, anstatt zur Schule zu gehen. So wie ihr geht es vielen Kindern, wie wir auf unserer Reise immer wieder hören.

Immer mehr Menschen verlassen das Land

Schätzungsweise 2,1 Millionen Menschen im Libanon benötigen derzeit humanitäre Hilfe und über 82 Prozent der Haushalte haben Schwierigkeiten, sich das Nötigste zu leisten. Die Lage ist für viele so aussichtslos, dass mehr als sechs von zehn Menschen das Land verlassen würden, wenn sie könnten. Immer mehr qualifizierte Menschen ziehen fort, auch Save the Children erlebt Abwanderungen. Eine weitere Kollegin berichtet: "Die Explosion vor drei Jahren war für viele ein Schnitt: Sie identifizieren sich nicht mehr mit ihrem Land."

Eingeschränkte Bildung für Kinder

Das libanesische Pfund hat seit Ende 2019 ungefähr 90 Prozent seines Wertes verloren: Zahlungen sind nur noch mit Bargeld und auf US-Dollar-Basis möglich. Hinzu kommen häufige Stromausfälle. Wer kein Geld für einen Generator oder eine Solaranlage hat, ist aufgeschmissen. Alle fühlen sich von der Regierung im Stich gelassen.

Am schlimmsten trifft die Krise die Jüngsten. Millionen von Kindern droht im vierten Schuljahr in Folge mangelnde Bildung, weil die öffentlichen Schulen erst wegen der Covid-19-Pandemie und dann wegen fehlender Gelder und Streiks immer wieder schließen. Viele Familien können es sich auch nicht mehr leisten, ihre Kinder zur Schule zu schicken. Stattdessen sind sie gezwungen, ihre Töchter und Söhne auf der Straße, in Fabriken oder auf Feldern arbeiten zu lassen, um Essen auf den Tisch zu bringen.

Unwürdige Lebensumstände für Geflüchtete

Besonders kritisch ist die Lage für die Geflüchteten im Land. Der Libanon beherbergt proportional zur Einwohnerzahl die meisten Geflüchteten weltweit, darunter mehr als 1,5 Millionen syrische Geflüchtete. Von ihnen leben 90 Prozent in extremer Armut. Ihre Lebensumstände sind überwiegend perspektivlos und alleinstehende Frauen und Kinder sind Diskriminierung und Gewalt schutzlos ausgeliefert.

Wo immer man hinblickt, haben sich die Lebensbedingungen von Kindern und Familien verschlechtert. Auf Optimismus trifft man kaum noch.

"Wir haben gelernt, uns anzupassen, aber an diese Realität sollte man sich nicht anpassen müssen" sagt eine Kollegin. Es wird Generationen dauern, bis sich das Land aus dieser Krise, die Kinderrechte verletzt, herausziehen und letztendlich davon erholen kann. (...)  Mehr