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17.02.2023

Kinder im Krieg: Überleben ist erst der Anfang

Über 449 Millionen Kinder weltweit leben in Kriegs- oder Konfliktgebieten. Sie erleben täglich gefährliche Dinge, die Sorgen und Ängste auslösen und lebenslange Auswirkungen auf ihre mentale Gesundheit haben können. Darum ist es so wichtig, Kinder in und aus Kriegen und Konflikten emotional aufzufangen und psychosozial zu unterstützen.
Issa* (7) lebt mit seinen Eltern und seinen Geschwistern in einem beschädigten Haus in Al Raqqa Syrien. Sie haben täglich Angst, dass das Gebäude einstürzt. © Muhannad Khaled / Save the Children

Permanente Todesangst führt zu toxischem Stress

Kinder im Jemen, Syrien, in der Ukraine und vielen anderen Ländern leiden unter ständiger Angst, mussten teilweise mit ansehen, wie ihre Freund*innen und Familien starben und ihre Umgebung zu Schutt und Asche wurde. Viele haben nicht ausreichend zu essen. Medikamente und lebenswichtige Hilfe fehlen oder sind nur schwer zugänglich. Der Krieg reißt sie aus ihrem Alltag und zwingt viele, zu fliehen und alles hinter sich zulassen. Diese anhaltenden Belastungen versetzen Kinder in einen Zustand, den wir ‚toxischen Stress‘ nennen.
 

So wirken sich Kriege und Konflikte auf die mentale Gesundheit von Kindern aus

1. ANGST, EINSAMKEIT UND UNSICHERHEIT

Viele Kinder, die in Konflikten leben, haben ihr Zuhause verloren, wurden vertrieben und mussten Freundschaften und Familie zurücklassen. Solche Verluste können Depressionen und Angstzustände auslösen.

"Bei unserer Arbeit mit syrischen Kindern merken wir, wie sehr sich der Krieg auf ihr Verhalten auswirkt. Sie sind immer gestresst. Haben permanent Angst. Auf jedes ungewohnte Geräusch, wenn sich z. B. ein Stuhl bewegt oder eine Tür zuknallt, reagieren sie. Das ist das Ergebnis dieser Angst – der Angst vor Flugzeugen, Raketen und Krieg." Ahmed, Freizeitkoordinator in Idlib, Syrien

Diese ständigen Angstzustände können zu Bettnässen, Einschlafschwierigkeiten, Albträumen und angespannten sozialen Beziehungen führen.

2. EMOTIONALE DISTANZ

Kinder, die mehreren Formen von Gewalt ausgesetzt sind, ziehen sich oft emotional zurück. So entsteht eine Distanz zu anderen, mit der sie sich zunächst sicherer fühlen. Langfristig kann dies dazu führen, dass sie keine gesunden Beziehungen aufbauen und emotionale Nähe zulassen können.

"Kinder wachsen zu isolierten und introvertierten Menschen heran; Sie interagieren nicht mehr mit ihrer Umgebung und Gleichaltrigen… Einige Kinder wurden in diesen Krieg hineingeboren und wissen nicht, was ein Freund ist." Mitarbeiter von Save the Children in Taiz, Jemen.

3. AGGRESSIONEN

Kinder, die inmitten bewaffneter Konflikte aufgewachsen sind, können in ihrem Verhalten gegenüber Gleichaltrigen und engen Bezugspersonen aggressiv werden oder sich komplett zurückziehen. Plötzlicher Streit mit Freund*innen, Anschreien oder Mobbing anderer können Anzeichen dafür sein, dass Kinder unter toxischem Stress stehen. Oft sind sie emotional abgestumpft und ahmen das aggressive Verhalten nach, das sie beobachten. Gewalt gehört für sie zum Alltag dazu.

"Die Kinder haben sehr viel Druck zu Hause. Es gibt keine Spielplätze, sie können nirgends spielen, nicht einmal auf der Straße. Oft ist es zu gefährlich, das Haus zu verlassen. Darum neigen viele Kinder zu Aggressionen, weil sie ihre Energie nicht rauslassen können." Psychologin aus Syrien

4. PSYCHOSOMATISCHE SYMPTOME

Kinder in Syrien haben uns erzählt, dass sich ihr hoher Stresspegel oft auch in körperlichen Symptomen äußert. Sie berichten von Kopf- und Brustschmerzen, Atembeschwerden und sogar kurzzeitigen Lähmungserscheinungen.

"Wenn ich allein bin und nachdenke, fängt mein Bauch an weh zu tun. Dann wird mir bewusst, in welcher Situation ich mich gerade befinde – wenn ich wirklich darüber nachdenke." Tarek, Jugendlicher aus Syrien.

Weitere psychosomatische Symptome können Schwierigkeiten beim Sprechen, z. B. Stottern, sein. In einigen Fällen kann es sogar vorkommen, dass Kinder Erinnerungslücken haben.

5. SELBSTVERLETZUNG

Manche Kinder sehen keinen Ausweg aus ihrer Situation. Sie versuchen, ihrer Umgebung zu entkommen, in dem sie Drogen und Alkohol konsumieren oder sich sogar selbst verletzen. Auch Selbstmordgedanken sind möglich.

Da Themen rund um die psychische Gesundheit oft mit sozialer Stigmatisierung einhergehen, werden sie zum Tabu. Wir müssen davon ausgehen, dass wir nur einen Bruchteil solcher Fälle kennen und es eine hohe Dunkelziffer gibt. (...)  More