„Wie schön, dich zu sehen! Wie geht es dir?“ Die Begrüßung zwischen den Mitarbeitenden der Organisation Casa de Assistencia Filadelfia (CAF) und Keliane könnte nicht herzlicher sein. Die junge Frau war lange einer ihrer Schützlinge. „Ich war zwölf, als ich das erste Mal in das CAF-Zentrum kam. Meine Mutter schlug mich regelmäßig und schrie mich immer nur an. Hier habe ich eine Zuflucht gefunden.“ Die 27-Jährige unterbricht sich, denkt kurz nach und meint: „Nein, eigentlich eher eine zweite Familie.“
Das Kinderschutzzentrum von CAF liegt in Ermelino Matarazzo, einem der ärmsten Bezirke von São Paulo. Gewalt gehört hier zum Alltag der Menschen dazu – auch und gerade in den Familien. „Die brasilianische Gesellschaft ist von Rassismus und Diskriminierung geprägt. Diese strukturelle Gewalt erzeugt viel Frust, der sich in Gewalt gegen die Schwächsten entlädt“, erklärt Ellen Cristina Vicente Garôz, eine der beiden Sozialarbeiterinnen von CAF, die Ursachen. „Es ist eine Kultur der Gewalt gegen Frauen, die ihre Erfahrungen an ihre Kinder weitergeben.“ Diesen Kreislauf zu beenden, ist das Ziel von CAF.
Kein Kind muss Gewalt hinnehmen
Bei dieser Aufgabe spielt das mangelhafte öffentliche Schulsystem des Bezirks der Kinderschutzorganisation in die Karten. Weil es mehr Kinder als Plätze in den Schulen gibt, läuft der Unterrichtsbetrieb in zwei Schichten. Die eine Hälfte der Schülerinnen und Schüler kommt vormittags, die andere nachmittags. Damit sie nicht den halben Tag lang alleine sein müssen, sind die Kinder eingeladen, ihre schulfreie Zeit bei CAF zu verbringen. Insgesamt 140 Mädchen und Jungen nehmen dieses tägliche Angebot wahr und verbringen ihre freie Zeit mit Musik und Informatik, Sport und verschiedene Workshops. Fast schon nebenbei treffen sie hier auf Ellen mit ihrem großen Herzen, ihrem immer offenen Ohr und einer Mission: den Kindern klarzumachen, dass sie Gewalt nicht erdulden und einfach als gegeben hinnehmen müssen, und ihnen zu zeigen, dass es auch anders geht. (...) Mehr