What kind of world will the children of their generation inherit from us? Will they thank us for leaving them a safe and sustainable environment? Or will they struggle to live on a blighted planet, and wonder why we could not find the will to protect them, when they were still too young to protect themselves?
John H. Knox, UN-Sonderberichterstatter für Umwelt und Menschenrechte
Bereits 539 v. Chr. befreite Kyros der Große nach der Eroberung Babylons die Sklaven, erklärte, dass alle Menschen das Recht haben, ihre eigene Religion zu wählen und stellte Gleichheit unter den Menschen verschiedener Hautfarbe und Herkunft her. Doch dauerte es fast weitere 2.500 Jahre bis sich der Gedanke der Universalität der Menschenrechte weltweit durchsetzte. Erst im Jahre 1948, nach zwei Weltkriegen bislang unbekannten Ausmaßes und der Gründung der Vereinten Nationen, wurde nach zweijährigen Verhandlungen die "Allgemeine Erklärung der Menschenrechte" verkündet. Die 30 Artikel dienen bis heute im weltweiten Kampf um die Würde des Menschen als gemeinsame Orientierung und Ideal fast aller Völker. Sie beschreiben die Persönlichkeits-, Freiheits- und justiziellen Rechte wie auch die wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Rechte des Menschen. Ein Recht auf eine gesunde Umwelt ist darin jedoch noch nicht zu finden.
In Europa begann die großflächige Umweltverschmutzung mit der Industriellen Revolution im 19. Jahrhundert. Große Fabriken und die Verbrennung immer größer werdender Mengen von Kohle und anderer fossiler Brennstoffe führten zu zunehmender Luftverschmutzung. Der Müll der Fabriken und der Abfall der Städte ließ die Müllberge wachsen. Die Umweltschutzbewegung entwickelte sich als Gegenreaktion auf die Industrialisierung, Urbanisierung, Luft- und Wasserverschmutzung sowie später auf die Risiken der Atomenergie. Umweltschutz wurde jedoch weitgehend verstanden als Schutz natürlicher Ressourcen, z.B. Wälder, wie auch als Schutz der Natur vor den Einflüssen des Menschen.
Die Vorstellung, dass der Mensch nicht Gegenpol, sondern elementarer Bestandteil der Natur oder besser des Systems Erde ist, setzte sich erst allmählich im Laufe dieses Jahrhunderts durch - vor dem Eindruck des zunehmend evidenten menschengemachten Klimawandels mit unmittelbaren massiven, oft regionalen Folgen für den Menschen, wie häufigere Überschwemmungen, extreme Stürme, sehr lang anhaltende Dürren, Hitzewellen und Anstiege der Meerespegel. Die Auswirkungen des Klimawandels verstärkten die Notwendigkeit, eine gesunde Umwelt als elementares Menschenrecht zu definieren. Allerdings waren die meisten Menschenrechtsverträge zu diesem Zeitpunkt schon geschrieben.
Wie relevant Umweltschutz gerade für Kinder ist, lässt sich gut an den Statistiken der Weltgesundheitsorganisationen (WHO) ablesen. Diese zeigen seit Jahren in schockierender Klarheit die verheerenden Auswirkungen von Verschmutzung und anderen Formen von Umwelteingriffen auf Kindern auf.
Eine WHO-Erhebung aus dem Jahre 2015 kam zu dem Resultat, dass mehr als einer von vier Todesfällen von Kindern unter fünf Jahren auf ungesunde Umgebungen zurückzuführen ist. Der Tod von ca. 1,7 Millionen Kindern unter fünf Jahren könnte jedes Jahr durch eine verbesserte Umwelt vermieden werden.
Kinder leiden stärker als Erwachsene unter den Gefahren durch Umweltverschmutzung, insbesondere durch Chemikalien, industrielle Abwässer und Pestizide. Langjährige Schadstoffbelastungen in Erde, Luft und Trinkwasser schädigen irreversibel ihre Gesundheit und Entwicklung. Unsachgemäß entsorgter Elektroschrott beispielsweise, der von Kindern in Entwicklungs- und Schwellenländern “recycelt“ wird, ist mit einer Vielzahl von Chemikalien und Giftstoffen belastet, die zu verminderter Intelligenz, Aufmerksamkeitsdefiziten, Lungenschäden und Krebs führen können. Kinder sind besonders gefährdet, weil sie sich körperlich und geistig in der Entwicklung befinden und weil die Umweltbedrohungen, denen sie ausgesetzt sind, außerhalb ihrer Kontrolle liegen.
Eine noch nicht zu beziffernde Zahl von Mädchen und Jungen lebt ein Leben lang mit den wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Folgen von Umweltzerstörung, die nicht weniger gravierend sein dürften als die gesundheitlichen, aber noch weniger erforscht sind.
Die Folgen des Klimawandels sind bereits heute für viele Kinder spürbar. UNICEF schätzt, dass mehr als eine halbe Milliarde Kinder in Regionen lebt, die stark von Überflutungen bedroht sind, und 115 Millionen von tropischen Stürmen. 160 Millionen Kinder leiden unter extremer Dürre, etwa ein Drittel von ihnen kommt aus Ländern, in denen mehr als die Hälfte der Bevölkerung in Armut lebt. Die Weltgesundheitsorganisation geht davon aus, dass aufgrund des Klimawandels die Zahl der unter- und mangelernährten Kinder bis 2050 stark zunehmen wird.
In Zeiten wachsender Urbanisierung haben immer weniger Kinder die Möglichkeit mit Natur ausreichend in Kontakt zu kommen oder einfach nur sorglos im Freien vor der Haustür zu spielen. Ein Thema betont der Kinderrechtsansatz mit besonderem Nachdruck: Nicht alle Kinder sind von Umweltproblemen in derselben Weise oder im selben Maße betroffen. Indigene Kinder oder Kinder aus bäuerlichen Familien haben in Regel einen viel stärkeren materiellen aber auch immateriellen Bezug zur Natur, ihre Lebensweise und ihr Überleben hängen davon ab, in einer gesunden Umwelt aufzuwachsen zu können. Kinder leiden auch massiv unter Umweltbelastungen, wenn sie unter gesundheitsschädlichen Bedingungen in der Landwirtschaft oder im Bergbau arbeiten müssen. Armut ist auch ein wichtiger Faktor: Viele Familien können sich ein Zuhause in einem gesunden Wohnumfeld schlicht nicht leisten. Ihre Wohnungen und Schulen liegen häufig an ungünstigen Standorten wie z.B. an vielbefahrene Straßen oder in urbanen Vierteln ohne Abfallentsorgung.
Das Recht auf eine gesunde Umwelt beinhaltet auch das Recht, in einer über Generationen nachhaltigen, intakten Umwelt aufzuwachsen und diese mitzugestalten.
Umweltbildung oder Bildung für nachhaltige Entwicklung finden überall auf der Welt in immer stärkerer Weise Eingang in Schulcurricula, aber nicht immer zielt diese darauf, Kinder zu befähigen, gemeinsam Veränderungen hin zu einer sozial gerechten und ökologisch nachhaltigen Gesellschaft anzustoßen. Für viele Kinder und Jugendliche ist die Umwelt ein besonders wichtiges Thema, für das sie sich engagieren: oftmals praktisch und direkt im lokalen Umweltschutz oder über Jugendzweige von Umweltorganisationen, aber auch, indem sie für eine andere Klimapolitik oder den Schutz von Ökosystemen auf die Straße gehen und manchmal sogar ihre Regierungen verklagen, wie zurzeit in den USA und in Kolumbien. Auffällig ist, dass Kinder und Jugendliche für die umweltpolitische Meinungsäußerung häufig ganz eigene Ausdrucksformen suchen: in der Kunst, im Theater, in der Musik oder Fotografie. Ihre Beiträge werden leider nur selten ernst genommen und gehört.
Das Recht auf eine gesunde Umwelt ist ein besonderes Kinderrecht, denn es vereint in sich auf virtuose Weise sowohl die Ansprüche der politisch-bürgerlichen also auch die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte: Ohne gesunde Umwelt kein Schutz der Kinderrechte auf Nahrung, Wasser, Gesundheit etc. und ohne Einhaltung des Kinderrechts auf Information und Partizipation kein angemessener Schutz der Umwelt.
Als historisches Dokument aus dem Jahre 1989 kennt die Kinderrechtskonvention (KRK) kein explizites Kinderrecht auf eine gesunde Umwelt. Aber immerhin gehört sie zu den wenigen Menschenrechtsverträgen, die Umweltfragen überhaupt thematisieren – in Bezug auf Bildung (Art. 29 1(e) und Gesundheit (Art. 24 2 (c)).
Im Zuge der Diskussion um die Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung und das Pariser Klimaabkommen von 2015 ist gerade in den vergangenen drei, vier Jahren Einiges in Bewegung gekommen. Viele der kritischen Punkte werden dort angesprochen – Umweltschutz und Kinderrechte werden erstmals in Verbindung gebracht. Doch Umweltvereinbarungen verfolgen zumeist einen rein fürsorglichen Ansatz: Kinder und Jugendliche gelten als besonders verwundbar und daher schützenswert. Als eigenständige Rechteträger und Akteure werden sie dort noch nicht gesehen.
Dies zu ändern haben sich mittlerweile einige Kinderrechtsorganisationen zum Auftrag gemacht: Im Jahr 2016 konnte terre des hommes den UN-Kinderrechtsausschuss dafür gewinnen, eine Konferenz zum Thema Umwelt und Kinderrechte zu organisieren, an der über 250 Forscher und Akademiker, zivilgesellschaftliche Organisationen, Regierungen, UN- Institutionen, Kinder und Jugendliche teilnahmen. Der Ausschuss ist das Überwachungsgremium für die weltweite Umsetzung der Kinderrechtskonvention und dadurch ein Schlüsselakteur der Kinderrechtspolitik. Er beruft die sogenannten „Days of General Discussion“ (DGD) ein, um spezifische Herausforderungen für die Kinderrechte zu debattieren. Mit dem DGD 2016 hat terre des hommes das Thema Kinderrechte und Umwelt auf die globale Agenda gesetzt. Der Abschlussbericht der Konferenz enthält eine Fülle von Empfehlungen an die Staaten, Internationalen Organisationen und Zivilgesellschaft, die quasi das Arbeitsprogramm der nächsten Jahre darstellen.
Darüber hinaus gibt es eine Reihe weiterer UN-Institutionen, die sich mit dem Thema befassen:
Insbesondere der Sonderberichterstatter für Umwelt und Menschenrechte stellt klar, dass Staaten eine besondere Schutzpflicht gegenüber Kindern haben, wenn Rechtsverletzungen durch starke Umwelteingriffe drohen. Der Vorrang des Kindeswohls gilt auch bei Entscheidungen über den Schutz der natürlichen Umwelt und muss sich in angemessenen Standards, Vorsorgemaßnahmen, gesetzlichen Rahmen für Unternehmen und andere umweltrelevante Akteure sowie der internationalen Kooperation niederschlagen. Er betont auch die Partizipationsrechte, die es Kindern und Jugendlichen ermöglichen soll, sich wirksam gegen Umweltbedrohungen zu schützen und Umweltpolitik aktiv mitzugestalten. Die Rechte besonders benachteiligter Kinder sind über alle staatlichen Maßnahmen hinweg zu berücksichtigen.
Die geschilderten Entwicklungen sind noch jung. Trotz ihrer Bedeutung und den guten Ansätzen bei der Schaffung eines Rechtsrahmens werden Kinderrechte in der Umweltpolitik bis heute auf internationaler und nationaler Ebene unzureichend umgesetzt. Es fehlen akzeptierte Standards, die das Verhältnis von Umwelt- und Kinderrechtsschutz verdeutlichen. Noch gibt es beispielsweise keinen Allgemeinen Kommentar (General Comment) zur Kinderrechtskonvention oder ein Zusatzprotokoll, das den Staaten Hilfestellung bei der Umsetzung dieses Kinderrechts auf eine gesunde Umwelt geben. Diese Standardsetzung, d.h. die Ausformulierung der in der KRK enthaltenen Rechte aus Umweltperspektive, wird ein wichtiger Schritt sein, um das Thema auf die nationalen Agenden zu setzen und den Monitoringstellen Indikatoren an die Hand zu geben, um den Grad der Erfüllung des Kinderrechts auf eine gesunde Umwelt auf nationaler Ebene zu bewerten.
Das Kinderrecht auf eine gesunde Umwelt steckt noch in den Kinderschuhen. Aber seine Bedeutung wird – mit den durch den Klimawandel bedingten Umweltbedrohungen auf dieser Welt, in der bereits heute über ein Viertel der Bevölkerung unter 15 Jahre alt ist – stark wachsen.
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“States should facilitate the participation of children in environmental decision-making. Children are not experts in air pollution, water management or toxicology, of course, but neither are most adults. Once children have reached a certain level of maturity, they are capable of forming opinions and expressing views on proposals for measures that may affect them.”
John H. Knox
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Autoren: Burkhard Vielhaber | info(at)kinder-und-jugendrechte.de |
Jonas Schubert, terre des hommes, j.schubert(at)tdh.de , erstellt im Mai/Juni 2018
Die Inhalte dieses Artikels geben die Meinung der Autoren und nicht notwendigerweise die der GIZ oder des BMZ wieder.